Den Philosophen und noch vielmehr den "stolzen"
Theosophen[1] wird oft
vorgeworfen, dass sie nicht beten. Hören wir dann erstmal nur ein Gebet der sich
unter Böhmes
umfangreichen Schriften befindet.(Schriften IX,I,30;S.15-17) So es beginnt:
Ich armer, unwürdiger Mensch komme abermal vor dich, grosser, heiliger Gott, und hebe jetzt meine Augen zu dir auf, ob ichs wohl nicht werth bin, so hat mich aber deine grosse Barmherzigkeit, und deine theure Zusage in deinem Worte kühne gemacht, daß ich jetzt die Augen meiner Seelen Begierde zu dir aufhebe; denn meine Seele hat jetzt das Wort deiner Verheissung in sich gefasset, und mit diesem kommt sie zu dir; und ob sie noch ein fremdes Kind vor dir ist, welches dir ungehorsam war, nun aber begehret gehorsam zu seyn, so windet sich aber meine Seele jetzt mit ihrer Begierde in das Wort ein, …
Das ist sicher ein Gebet und ist ganz
christlich traditionell. Das ganze Gebet verläuft auch ganz typisch: Am Anfang findet man eine
Haltung der Busse – Worte über die Sündhaftigkeit des betenden
Menschens. Dann, und das wirft schon ein
bisschen Licht auf die Grundhaltung des Betendes,
ist erst das Wort erwähnt, des verlangt die SEELE
des Mystikers. Für diese seine (d.h. des Mystikers)
Begierde ist der leibliche Christus und alle seine
heilige Geschichte nur ein Vehiculum.
Später kommt noch ein anderes, noch traditioneller Teil des Gebets:
In einer Reihenfolge sind die Ereignisse
aus dem Leben
Christi angeführt, wie
findet es man auch an vielen Stellen in der frommen
Literatur der Epoche, zum Beispiel in den katholischen
Litaneien, sogar mit derselben Formel: "durch seine
heilige Empfängnis,
durch sein Geburt" usw. Die "Litanei"
aber klingt ausgeprägt
mystisch aus dadurch, das alle
diese Ereignisse werden von dem betenden
Mystiker miterlebt, das Leben Christi wird zum Leben des Mystikers
und vice versa. Hören wir
mal zu diesem Teil des Gebets:
…in das Wort ein, das Mensch worden ist, das Fleisch und Blut worden ist, das in meiner Menschheit die Sünde und den Tod zerbrochen hat, das in meiner Seelen den Zorn in Liebe verwandelt hat, das dem Tode seine Macht, und der Höllen ihren Sieg in Seele und Leib genommen hat, welches meiner Seelen eine offene Pforte zu deinem klaren Angesicht deiner Kraft gemacht hat.
In dieses allerheiligste Wort habe ich,
o grosser, allerheiligster Gott, meiner Seelen Hunger und Begierde eingeführet, und komme jetzt vor dich, und rufe
in meinem Hunger durch dein
Wort, das Fleisch und Blut worden ist, in dich, du
lebendige Quelle: Dieweil dein Wort ist das Leben in unserm
Fleisch worden, so fasse ichs in meiner Seelen
Begierde, als mein eigen Leben und dringe mit meiner
Seelen Begierde durch dein Wort im Fleische
Christi (durch seine heilige Empfängniß in Maria der Jungfrauen,
und durch seine ganze Menschwerdung, durch seine
heilige Geburt, durch seine Taufe am
Jordan, durch seine Versuchung in der Wüste, da Er in der Menschheit,
des Teufels und dieser Welt Reich überwand, durch alle
seine kräftige
Wunderwerke, die Er auf Erden thät, durch seinen
Spott und Verachtung, durch sein unschuldig
Leiden und Sterben, durch sein
Blutvergiessen, da Gottes Zorn mit in der Seele
und Fleisch ersäufet
ward, durch seine Ruhe im Grabe, da Er unsern
VaterAdam aus sinem Schlaf aufweckte, da er war des Himmelreichs
eingeschlafen, durch seine Liebe, die
durch den Zorn drang, und in der Seelen
die Hölle überwand und zerstörete, und durch seine
Auferstehung von den Todten, durch seine
Himmelfahrt, durch die Sendung
des H.Geistes in unsere
Seele und Geist, und durch alle seine Worte
und Verheissung, daß du Gott Vater willst den H. Geist
geben, denen, die in dem Namen
und durch das Wort,
das Mensch ward, bitten werden) in dich.
Was ist also an
diesem Gebet charakteristisch, oder eigenartig? Es ist sehr umfassend[2] – aber das ist am
Anfang des 17.Jahrhundert, in der beginnenden
Barockepoche, auch nichts so ungewöhnlich. Wir haben aber doch einige Anhaltspunkte, die können uns die Eigenart des Gebets
zeigen, erstens die häufig vorkommende Verlangen oder BEGIERDE des Betenden.
Das ist sicher ein mystischer Zug. Verlangen
nach Gott war charakteristisch für ganze Plejaden von Mystiker
schon von Augustinus und Bernard aus. Für Böhme ist Verlangen nach Gott das Kernstück seiner Frömmigkeit. In Signatura Rerum lesen
wir eine wunderbare Erklärung: Dann des Menschen
Seligkeit stehet in deme, daß er in sich
habe eine rechte Begierde nach Gott: dann aus der Begierde
quillet die Liebe aus, das ist,
wann die Begierde Gottes sanftmuth in sich
empfähet, so
erfindet die Begierde in der Sanftmuth
in sich, und wird wesentlich, das ist
alsdann himmlische oder Göttliche Wesenheit oder Leiblichkeit; und darinnen
stehet der Seelen Geist (welcher im Zorne, als im
Tod verschlossen lag) in der Liebe
Gottes wieder auf, dann die Liebe tingiret
den Tod und die FInsterniß, daß sie, der Göttlichen Sonnen Glanz wieder fähig ist. (5,11) Das wir eine
Begierde nach Gott haben, ist für Böhme auch ein Beweis dafür, daß wir in uns den Leben
auch aus dem zweiten,
dem hellen Principium haben[3]
Bei Böhme ist aber die Begierde
etwas mehr als bei diesen Mystikern. Bei meisten von ihnen
ist es die Begierde des Menschen
der nach Gott verlangt. Das ist
sicher bei Böhme
auch. Wenn wir weiter fragen, wo ruhen die Wurzel
des Zustandes des Begehren,
finden wir es meistens in gefühltes Unzulänglichkeit des Mystikers. Das gilt
sowohl für die intellektuelle
Vernunftsmystik wie auch für die Gefühlsmystik. Sehr schön ist diese Stellung zu sehen
schon in Augustins Confessiones: Der Mystiker
verlangt nach Gott, weil er ihm selbst nicht reicht,
dass er ist unfähig eine
Antwort auf seine Transzendenzbedürfnis selbst zu geben. Böhme leugnet die Unzulänglichkeit des menschlichen
Natur nicht. Das ist hinreichend sichtbar aus dem ganzen
Verlauf dieses, wie auch seinen anderen Gebete. Doch die mystische
Begierde ist ihm nicht, mindestens nicht an der ersten
Stelle, aus der Unvollkommenheit
des Menschen stammend und dadurch geprägt. Die Wurzel der Begierde
liegt für Böhme in Gott selbst, Er
ist die Ursache des Begehrens
des Mystikers. Und wir können nicht einfach sagen, dass Gott hat die Begierde
in das Herz des Mystikers
gelegt. Die Begierde waltet in dem Mystiker,
weil sie ist die Begierde GOTTES, d.h. sein Attribut,
aber noch mehr: Begierde ist ein Prinzip der Urbewegung
in Gott, dadurch sich Gott selbst
entfaltet, noch eher, als Er sich in die Welt
entfaltet ließ. (Und "eher" hier natürlich ontologisch, nicht zeitlich, verstanden werden
muss.) Begierde ist
also ein Urphänomen,
der unterliegt dem Göttlichen, wie das Göttliche unterliegt der Welt.
Hier wir sind also weiter, als bei Augustinus, wer ja auch weißt über seinem unruhig geschaffenem Herzen – der Renaissancemensch
mit ganz neuem Selbstbewußtseinsgefühl tritt hier hervor, wenngleich noch in dem Gewand
der traditionell christlichen Demütigkeit.
Aber mit der Begierde
bei Böhme es
ist noch mehr kompliziert. Wir haben schon gesagt, das sie ein
Urphänomen
ist; sie gehört dementsprechend
also zu dem "ersten"
Stadium der Gottheit, zu dem dunklen
Principio, woraus die erste Qualität stammt, ganz am Anfang aller Entwickelung der Natur,
wie Böhme sie
schildert. Die Qualität der Begierde ist
also Herbe, wie wir es auch auf mehreren Stellen in Böhmes Schriften bezeugt haben.[4]. In Mysterium
Magnum wird "Begierde" sogar zu einem
Synonym von Herbigkeit (MM 6,14). Wie
kann dann solche Begierde das Verlangen sein,
womit die Seele nach Gott
verlangt? Und – die zweite Frage – wenn schon die Begierde
des Mystikers mit der Begierde
Gottes vereinigt worden ist, wird der Mystiker in der Begierde
Gottes wieder die alte herbe Begierde finden, die am
Anfang des schmerzhaften Prozesses ganzer Natur,
und konsequent auch seiner Seele, gestanden hatte? Das ist
undenkbar. Vielleicht auch dadurch, und aufgrund ähnlicher mystischer Spekulationen unterscheidet Böhme in seinen späten Schriften zwischen Begierde und Lust,
wobei beide sind Eigenschaften Gottes.[5]
Vielleicht haben wir auch in unserem
Text einen zarten Beleg von solcher
Unterscheidung. Erst hebt der betende Mystiker
die Augen seiner Seelen
Begierde auf (ganz am Anfang des Gebets in der dritten
Zeile). Natürlich
das kann nur eine Bildsprache sein, aber es
gibt nach andere Stelle, wo die Ungleichheit
von beiden Begierden tritt mehr hervor:
"In dieses allerheiligste Wort habe ich, o grosser, allerheiligster
Gott, meiner Seelen Hunger und Begierde eingeführet." Hier ist
schon sichtbar, dass des Mystikers
Begierde, die für Böhme
einem Hunger gleicht, nicht von absolut
derselben Gattung ist, wie die Begierde Gottes,
die sich in dem Wort
auflöst.
Was ist also
eine Ergebnis dieser Psycho- und Theologie der Begierde?
Vielleicht könnten
wir es mit Böhmes eigenen Worten zusammenfassen, die in DrfLeb
8,36 stehen: "Also finden und gründen wir, und habens in wahrer
Erkentniß, daß die arme
Seele im Geiste und in der Tinctur
dieser Welt gefangen liegt in einer fremden
Herberge, und hat nicht ihr Licht der Majestät: Denn hätte sie das, so ruhete sie, und
begehrete nichts mehr; Und finden wir, das sie im
Tode gefangen lieget in grosser Unmacht;
den hätte sie ihre Tinctur, si schiene die Majestät in ihr, in der sie ein
Kind Gottes ist."
Schauen wir aber noch ein bisschen auf
den "litanischen" Teil des Gebets,
wo Böhme zählt alle die soteriologische
Ereignisse und Vorgänge aus der Heilsgeschichte
auf. Zu diesen sind nämlich
gereiht auch zwei Hinweise: Ein direkter Hinweis auf Gottes Liebe,
und ein vermittelte Hinweis auf Gottes Zorn dem Leibe
und in der Seele (der
ertränkt sich
in dem Blut
Christi). Dass gerade
diese zwei Aspekte Gottes hier zu dem Heilsereignissen
eingereiht sind, ist auf keinerlei Art ein Zufall. Diese zwei hier von Böhme angegebene Eigenschafte Gottes sind immer und überall bei Böhme die konstitutive und schaffende
Grundprinzipien der Welt, auf dem die Welt
ruht und aus dem sie
erschaffen wird. Zu solcher Auffassung finden wir bei Böhme überall zahlreiche Beispiele, zuallerunterst in dem ganzen
Buch "Beschreibung der drei Prinzipien
göttlichen
Wesens (DrfLeb)" .
Das Gebet endet mit einer
langen, dreiteiligen Invokation:
O du Leben meines Fleisches und der Seelen, in Christo meinem Bruder! Zu dir flehe ich in meiner Seelen Hunger, und bitte dich aus allen meinen Kräften, wiewol sie schwach sind, gieb mir doch, was du mir in meinem Heilande Jesu Christo geschenket und versprochen hast, als sein Fleisch zur Speise, und sein Blut zum Trank, meiner armen hungrigen Seelen zur Labung, auf daß sie in deinem Wort, das Mensch ward, möge kräftig werden , und sich erquicken, dadurch sie recht lüsternd und hungrig nach dir werde.
O tife in dem Allersüssesten Namen Jesu! Ergieb dich doch in meiner
Seelen Begierde ein: hast du dich doch darum in der Menschheit
beweget und nach seiner grossen Süßigkeit offenbaret, und rufet uns zu dir, die wir nach dir
hungerig und durstig sind, und hast uns zugesaget, du wollest uns erquicken.
Jetzt sperre ich meiner Seelen Gaumen gegen dir, o allerheiligste, süsseste Wahrheit, auf; und ob ich unwürdig bin, von deiner
Heiligkeit solches zu begehren, so
komme ich aber durch dein bitter
Leiden und Tod zu dir, da du meine
Unreinigkeit hast mit deinem Blute
besprenget, und in deiner
Menschheit geheiliget, und mir eine offene Pforte durch deinen
Tod zu deiner süssen Liebe in deinem
Blute gemacht; durch deine heilige fünf Wunden, daraus du dein Blut
vergossen, führe ich
meiner Seelen Begierde in deine Liebe ein.
O Jesu Christe, Gottes und Menschen Sohn! Nimm doch dein erworbenes Erbe, das dir dein
Vater hat geschenket, in dich. Ich rufe
in mir durch dein
heiliges Blut und Tod in dich, thue dich
in mir auf, daß dich meiner Seelen Geist in sich
erreiche. Greife du mit deinem Durst
nach meinem Durst in mir, führe deinen Durst, den du am
heiligen Creuze nach uns Menschen
hattest, in meinen Durst, und tränke mich mit deinem
Blute in meinem Durst, auf daß mein Tod in mir, der mich
gefangen hält, in deinem
Blute der Liebe ersäufe, und mein verblichenes Bild (das in meinem
Vater Adam in der Sünden des Himmelreichs
verblich) in deinem kräftigen Blute lebendig werde; und zeuch
es meiner Seelen wieder an, als einen neuen Leib, der im
Himmel wohnet, darinnen deine heilige Kraft und Wort, das Mensch
ward, inne wohnet, welches der Tempel deines H.
Geistes ist, der in uns wohnet, wie
du uns zugesaget hast: Wir wollen zu euch
kommen, und Wohnung in euch machen.
O grosse Liebe Jesu Christi! Ich kann
nichts mehr, als ich ersencke meine Begierde in dich; dein
Wort, das Mensch ward, ist die Wahrheit:
Weil du mich hast heissen kommen, so komme ich jetzo, mir geschehe nach deinem
Worte und Willen. Amen.
Die Invokation ist an Christus
gerichtet, obwohl auf manchen Stellen es sieht so aus, dass die ganze
Gottheit ist einbezogen. (Mit der Trinität hatte Böhme immer Schwierigkeiten, obwohl er nie das Trinitarische
Dogma leugnete. Von diesem Sichtpunkt sind seine Schriften voll von Inkonsequenzen.)
Was kann interessant sein, wiewohl es nicht sehr geprägt ist, ist das Innewohnen
nicht nur des Geistes, sondern auch Christus in dem Geiste
des Menschen. Solche Personalisation ist
sicher Ein mystischer und zugleich auch gnostischer Zug. Das ganze
Gebet klingt auch sehr persönlich aus – bemerken wir nur die Häufigkeit von Ausdrücke wie "in mich", "in dich",
"mir", "mein" usw.
Ganz beim Ausgang des ganzen
Gebetes findet sich noch einmal die Begierde vor und
findet auch ihre mystische Lösung: Der Mystiker legt seine Begierde zurück in Gott, damit sie
Lösung
erlangt in der großen von Ungrund
des Willens bis zum Schall und Wort der Liebe führenden Wunderbewegung ganzer Gottheit[6], woher sie auch
stammt und wo allein sie gestillt werden kann. : Ich kann nichts mehr, als
ich ersencke meine Begierde in dich.
Mit den Mystikern
aller Zeiten und auch in guter Tradition
der Reformation Böhme weißt (und als ein Mystiker auch spürt) dass seine Lage ist nicht von ihm selbst lösbar, dass Gott selbst muß sie übernehmen. Böhme aber
denkt weiter und tiefer. Das ist an dieser
Stelle erst nur leicht angedeutet. Das Ersenken in Gott ist
etwas, was krönt und
schließt den Kreis,
der durch Begierde,
Begierde Gottes, angefangen war, und dessen größeres Teil lief durch die Schöpfung und die Natur bis zu die Seele
des Mystikers.
Man grübelt manchmal darüber, warum findet man bei Böhme so viele theosophische Spekulationen, warum so
wichtig für ihm
sind die Qualitäten und Signaturen, warum alles dieses Naturleben so
wichtig ist für einen
frommen Mystiker und warum gerade darauf gebaut wird ein System, der von seinem
Urheber gar nicht als eine Philosophie, sonder vielmehr als eine mystische
Einleitung zu Kontemplation und frommen Leben gemeint
war. Die Antwort findet man vielleicht hier. Wie
der Mystiker kann sich selbst von dem Gott
nicht absondern, so ist auch der Gott untrennbar
von der Schöpfung. In die Gottheit
zu ersenken meint die ganze
Komplexität der Naturprozesse
in sich einzunehmen und damit und dadurch
die Erlösung zu erhalten.
Bleiben wir noch für eine Weile bei der Innewohnung
des Geistes in der Seele.
Das ist eigentlich das Ergebnis
von dieser riesigen Kreisbewegung. Und es
ist auch ein von der Elementen, die dem Hegel an
Böhme so
viel gefallen waren. Und dabei sind wir bei einer von der charakteristischen
Zügen des "theosophischen
Gebets" wenn wir uns es so nennen dürfen: Solche Gebet stellt sich nicht dem WeltLebenslauf
entgegen, sondern reiht sich mit Ihrer
"Begierde" ruhig in diesen Lebensström. Also die grundhaltung des theosophischen.
Gebets könnten
wir durch die Bitte
"dein Wille geschehe" beschreiben. Und auch wenn Böhme auf anderer Stelle schreibt: "Tilge du
doch deines Vaters Zorn mit deiner Liebe in mir, und
stärcke
mein schwaches Bild in mir." (IX,
I.44) ist das nichts was dem Prozess
der Selbstoffenbarung Gottes fremd wäre, Genau umgekehrt; es ist gerade die Durchführung dieses Prozesses in eigener
Person des Mystikers, in seiner
Individualität.
Wir finden in dem Gebete
noch andere interessante Themen, und nämlich:
Böhme verbindet das Christi Aufruhen in dem Grab mit Adams
Schlaf in dem Paradies.
Diese Parallele, wenn immer nicht ganz neu – sie befindet sich schon in der Osterhomilie
des Melito aus Sardes –
ist immerhin für Böhmes Exegese charakteristisch und wichtig: Adams
Schlaf in dem Paradies
ist nämlich für Böhme die erste Phase des Adams
Falls, die Vergessenheit, und das Geniesen
des Fruchts ist nur der Effekt
davon. Durch den Schlaf hat Adam den Paradies
Verloren und ist in Vergessenheit gefallen.[7] Dadurch taucht
auch ein sehr wichtiger gnostischer Zug des Gebetes
auch. Die Metapher des Schlafens
ist bei Böhme nich
vereinzelt. Wir finden sie z.B. auch in einem Passus aus dem Gebete
in IX,I,44:
O grosser Gott, ich schlummere noch, und
sehe dich nicht in der Tieffe
deiner Kraft und Macht, wecke mich doch gar in dir auf,
daß ich in dir
lebendig werde: Zerbrich doch den Baum deines
Zorns in uns, und laß deine Liebe in uns grünen!
Interessant ist hier die Verknüpfung von dieser Idee mit dem Bilde
des Baums des Zornes.
Hier nur vielleicht eine Erklärung, was ist für Böhme der Baum des Zornes.
Mit moderner mathematischer Sprache könnten wir sagen es ist ein binares Baum. Wodurch ersteht er? Ganz am Anfang
des Weltprozesses durch Ringen
der ersten zwei Motiven der "
Herbigkeit ", was ist kurzgesagt die Tendenz zu Selbstfassung
und Selbstschliessung, und der "
Bitterkeit ", was ist eine Gegenbewegung zu diesem
ersten Motiv, die man vielleicht
"Selbsterhebung" (cum grano salis) nennen könnte (Böhme kennt insgesamt sieben solchen Kräfte, die er "Qualitäten" nennt). Die treibende
kraft ist hier das erste Motiv, also immer wenn ein
balanzierter Zustand von beiden Qualitäten erreicht wird,
pflanzt sich das erste Motiv in beiden
erreichten Varianten wider fort, wogegen muss das Zweite
immer reagieren, also vermehrt sich die Menge von Möglichkeiten in Infinitum. Ein
anderes Bild, der Böhme für
Beschreibung dieses Prozesses nutzt, ist ein Rad, weil das Reagieren
in Infinitum weitergeht und trotzdem wird
nichts grundsätzlich
neues dadurch erreicht. Durch diesen Prozess wird das dunkle
materielle Universum geschaffen, die in einem Pleroma
von polaren Potenzen und Kräfte besteht. Damit etwas qualitativ neues aus dieser
dunklen Welt entstehen könnte, muss erst
dieses Machtspiel der beiden Kräfte zerbrochen werden, durch einen Blitz
oder Schrack. Das ist aber schon
eine andere Geschichte.
Fassen wir also noch einmal die Hauptergebnis
von diesem Gebete zusammen: Gottes Begierde
ist mit des Menschen Begierde identisch (obgleich
nicht gleichwertig) und Gott ist also auch ihr wunderwertste Ziel. Das wird
auch auf viel anderen Stellen bestätigt.: "O IMMANUEL; DU Ehestatt Gott und Mensch, in deine
Armen, deiner Begierde gegen und in uns ergebe
ich mich, deiner begehre ich" (IX, I, 43.). Und am Ende von demselben
Gebet (IX,I,43) erklingt es ganz lapidar: "In dich ersencke ich mich
ganz und gar, thue du in mir, was du
willst. Amen."
Nur wenig Raum ist uns geblieben um auch
auf andere Aspekte, die auf anderen Stellen Böhmes Gebetsbuch zum Ausdruck kommen, unsere
Aufmerksamkeit zu richten. Vielleich hier nur ein Paar
Scherben:
Bei Böhme fehlt auch die Brautmystik
nicht. Als die Braut des Mystikers
tritt die Jungfrau Sofia auf. Bei dem Gebet
nach Böhme die Edle Sophia küsst die Seele (IX,I,38):
Allhie tritt die Jungfrau, welche sich dem theuren Namen JESU, mit Christo dem Schlangen=Treter, als dem Gesälbten Gottes offenbaret, zur Seele, und küsset sie mit ihrer süssesten Liebe in der Essenz ganz innerlich, und drückt ihr ihre Liebe zum Siegs=Zeichen in ihre Begierde ein; und allhie stehet Adam nach seinem himmlischen Theil vom Tode auf in Christo. Davon ich nicht schreiben kann, das ist keine Feder in dieser Welt dazu, dann es ist die Hochzeit des Lammes, da das edle Perlein gesäet wird, zwar mit grossem Triumpf, doch ist es erstlich klein als ein Senfkorn, wie Christus saget.
Ganz zum Abschluss noch eine Bemerkung
zu der von Böhme vorgestellten Gebetspraxis . Nach von uns
jetzt ausführlich
beschriebenem Gebet folgt unmittelbar ein Abschnitt, der den Titel trägt: Eine kurze Form der Beichte
vor GOttes Augen. (und trotz deklarierter Kürze nimmt neun Absätze ein). Und da bemerkt Böhme ausdrücklich, dass er Konkrete Wortlaut wie auch die Länge des Gebets richtet
sich nach Erwägen jedes Einzelnes. Dann könnten wir vielleicht überrascht werden davon, dass der Verlauf
der Gebete so genau notiert wird. Aber eher
sollten wir gerade durch das Gegenteil
überrascht werden: Wir bewegen uns nämlich in einem Zeitalter,
wann alles Geschehen auf dem religiösem Eben schon vorbestimmt war, bis einschließlich die entsprechende
Formen und Formel, und wenn Böhme schreibt hier. " Diese Beichte mag ihm ein Jeder nach seinem
Anliegen formiren und vermehren, wie ihn der H. Geist
wird lehren.." (unbedingt vor IX,I,19) es
ist eher schon etwas, was ihn zu den Independenten
und Quäker
reiht, als zu ordentlichen Lutheranern. Das Buch
"Vom wahren Busse" sind ziemlich lauter Gebete; dabei wechselt sich
immer ein "mystisches" Gebet , mit einem
"Buß-"
oder "Anfechtungsgebet", die berücksichtigen das allgemeine
Menschenzustand und sind auch sehr herzrührend: Wir treffen in Ihnen Passagen
vor, wie diese, mit der möchten wir diesen Aufsatz auch schließen.
… O höchste liebe! bist du doch in mir
erschienen, bleibe doch in mir, und fasse
mich in dich, halte mich doch in dir, daß ich nicht von dir
weichen kann; erfülle doch meinen Hunger mit deiner
Liebe, speise doch meine Seele mit deinem
himmlischen Wesen und träncke sie mit dem Blute
meines Erlösers
Jesu Christi, träncke sie
doch aus deinem Brünnlein.
O grosse Liebe! wecke doch mein
verblichenes Bilde, welches in meinem Vater
Adam am Himmelreich verblich, durch das Wort,
das es in des Weibes
Samen in Maria aufweckete, auf, Herr bewege du es
doch.…
[1] Was ist eigentlich Theosophie? Böhme verwendete dieses Wort häufig. Wir befinden es
auch in dem Titel von mehreren von seinen Werken. In dem Buch ARBATEL, die nach seinen frühesten Erscheinungen bis zum Jahr 1531 datiert wird, ist Theosophie ein
Teil der Scientia Boni, die selbst weiter geteilt
wird in notitiam verbi Dei (also Theologie)
und notitiam gubernationis Dei, welche die Erkenntnis der Engel und Geister und
ihres Dienstes bringt und öffnet. Im Sinne von dieser Einteilung können wir also Tehosophie als eine (Er)kenntnis des Höheres,
des Übermenschliches bezeichnen. (Auch schon dafür, dass
der andere Teil der scientia boni heisset in dem genannten Buch „Anthroposophia" und behandelt über den Menschen und die Natur, also über Gegenstände, die Traditionell zum
aristotelischen Physik bzw. Ethik gehören. Solche Auffassung
lag dem Renaissance Usus in Verwendung von diesem Termin zugrunde.
Es war also damals nicht wie heute, wann auf diesem Wort immer etwas
Schamhaftiges und Marktschreierisches klebt. Und sogar es ist nicht Schuld der Theosophie oder der damaligen Theosophen,
dass sie in modernen Zeiten so ein
zweifelhaften Ruhm erlangen hat. Zwischen dem 16.Jahrhundert und Heute liegt nämlich das Säkulum des Rationalismus, mit seinem Begriff des und seiner Auffassung von dem "Übernatürlichem" – wie von etwas, was aus physikalischen Gründen nicht zu erklären
ist. Solche „übernatürliche“ Tatsachen sind dem Rationalismus ungewollt, und werden darum ostrakisiert
und als zweifelhaft bezeichnet. Und solche Auffassung von den übernatürlichen Dingen haben wir auch geerbt. Wir könnten
es etwa so beschreiben: Während bei dem Menschen der sechzehnten Jahrhundert,
auch bei dem forschenden und prüfenden gelehrten, war seine Anschauung etwa in zwei gleichmäßige
Teile geteilt, mit denen er auf den Himmel und die Erde schaute, ist der moderne Mensch mit seinem Blick auf den Erdboden fixiert und nur
sehr wenig von das über
sein Horizont kommt in seinem Sehkreis . Erst für den modernen Menschen ist die Welt das Gegenstand nicht nur seiner
Arbeitsbemühung, sonder such seiner Begierde, seiner Wunschträume,
seiner Erkenntnisleidenschaft, seiner Zukunftsentwürfe
geworden. Wenn man also heute von der Erweiterung von Horizonten, von überirdischen Welten
spricht, wirkt das auf heutigen Menschen ungeheuer störend.
Der Impuls von Rationalismus und Aufklärung
sich der Erde und ihrer Pflege zu widmen lebt noch immer
stark auch in den Menschen unserer Ära.
[2] Das schon Angeführte ist nicht das ganze Gebet. Und derweil bei anderen zitierten Gebeten
werden wir immer nur den wichtigen Abschnitt angeben, führen
wir hier das ganze Gebetes (siehe unten), damit der Leser sich eine Vorstellung
bilden kann von der Umfang des Ganzen:
[3] Vgl. DrfLeb 8,32f.: Ein
Principium ist ein eigen Leben, und hat sein Centrum zur Natur, und darum
heisen wirs Principium, daß ein gantz Regiment
darinnen ist, als wie in der Ewigkeit; das nichts höhers oder mehreres begehret, als nur dasjenige was in seinem eigenen Centro mag
erboren werden: Wie ihr dis am Himmel-und Höllen-Reich gut nachdencken habet, dann der Himmel begehret nur Göttlich Wesen, und die Hölle grimmiges, mörderisches, feurisches,
herbes, hochfliegendes, hartgebärendes, und was des Zorns Eigenscheft ist im
Feuer.
Also dennoch ein Begehren in uns ist nach dem höchsten Gute, und nach der Ewigkeit; so ist dasselbe
Begehren aus dem ewigen und höchsten Willen, aus dem höchsten Wesen, und sein Leben ist aus der höchsten Tinctur. (Fettdruck V.O. – Der Sinn ist:
Wenn wir in uns das Begehren nach dem höchsten
Gut empfinden, muß solche Begierde aus Gutem, "aus der höchsten Tinctur" stammen)
[4] z.B. DrfLeb 2.12; SignR
2,8-9 u a.
[5] z.B. in SignR 6,1: "… In der Begierde entstehet der treibende Geist, als der natürliche,
und in der Lust der übernatürliche, der doch der Natur ist, aber nicht aus seiner
Selbst-Eigenschaft, sondern aus der Begierde Eigenschaft." In dem folgendem Paragraph (6,2) gehet Böhme sogar so weit, dass er gibt zu, dass Gott ist Begierde-loß in sein Wesen; muss aber unbedingt zulassen – stoßend so
auf das alte Thema der Kappadokier und Maximus, den Unterschied zwischen OUSIA und
ENERGEIA – , dass er die Begierde gegen der Natur hat
[6] Diese Bewegung beschreibt Böhme in seinen späteren Schriften meistens durch seine Qualitäts‑Lehre.
Vgl. z.B: Grunsky, Hans: Jacob Böhme;Fr.Frommanns,
Stuttgart, 1956
[7] Vgl. auch Benz, E.: Der
vollkommene Mensch nach Jakob Boehme, Kohlhammer, Stuttgart 1937