Glaube und Optimismus
Ein von der üblichen Stolpersteine in Augen der Öffentlichkeit in Bezug auf die Christen ist ihr Glaube. Der wird von der nichtchristlichen Mehrheit der Gesellschaft für etwas – im besserem Falle – sehr komisch und schwer begründbar gehalten, wenn nicht gerade für eine Abweichung von der richtigen Art des Denkens, die gebietet nur solche Informationen akzeptieren und mit denjenigen Angaben zu rechnen, die irgendwie gut erweisbar sind, eventuell mindestens mit dem „allgemeinen Meinung“ im Einklang stehen. (So eine dem „allgemeine Meinung“ ist an sich nichts Anderes als eine Sammlung von Vorurteilen, also auch eine Art von Glaube, die allerdings hier aus relativ fragwürdigen Gründen herausgeht und motiviert wird nur durch eine krampfartige Bemühung sich zu irgendeine „Wahrheit“ zugesellen und alles klar zu haben. Aber lassen uns nicht zu schnell zuvorkommen.) Aus solchem Gesichtspunkt wird Glaube meistens für eine Arto von (unbegründetem) Optimismus gehalten, mit dem die Gläubige die Welt anschauen, Optimismus, den ihnen die Anderen zwar ein bisschen beneiden, aber allgemein wird er als unvernünftig und närrisch angesehen.
Es gibt Einwände gegen den Glauben auch von ganz anderer Seite und auf einer anderen Ebene. Es sind sehr alte Vorstellungen, sie kommen schon aus der urchristlichen Zeit und sagen etwa, dass Glaube ein Mittel nur für die geistig mittelgereift sei, während die Herangewachsenen über geistige Sachen zu einer wahren und unverfälschten Erkenntnis gelangen können. Diesen, ursprünglich gnostischen, aber auch heute frequentierten intellektuellen Argument lassen wir jetzt außer Acht. Es wird uns interessieren nur der erste, volkstümliche Argument. Ist also Glaube nur irgendein (besser oder schlimmer) begründeter Optimismus?
Zum Beginn müssen wir konstatieren, dass das Beide wirklich gemeinsame Züge hat. Die optimistische Lebenshaltung ist eine ziemlich unkomplizierte Stellung. in ihrer einfachsten Form darf sie man ausdrücken mit den Wörtern: „Alles wird gut ausfallen.“ Das ist nicht zu verachten. Wer in der Misere des Lebens zustande ist solche – wie auch nicht ganz rationell begründete – Hoffnung zu behalten, gibt sich den ungünstigen Umständen nicht auf, und wird mit ihnen kämpfen, oder zumindest versucht vor ihnen zu fliehen und überleben und später kann einen neuen Anfang machen. Darin ist der Glaube dem Optimismus ziemlich ähnlich: Wer Glaube in etwas hat, der lässt sich nicht zu leicht durch Fehlschläge erschrecken, er wird weiter seinen Ideal verfolgen und wird sich darüber wieder und wieder versuchen.
Eine mehr komplizierte Variante des Optimismus ist die Überzeugung, dass alles (und also auch alle Leute) ist grundsätzlich gut. Wer diesen Optimismus in ganzer seiner Totalität anzuwenden vermögt, wird sicher auf einzelne Fälle stoßen, wann sein Optimismus nicht gut beweisbar sein wird, und so ein Optimismus braucht dann schon eine beträchtliche Portion des Glaubens, getrost auch eines Selbstglaubens, aber eines echten Glaubens, das ist einer Überzeugung, die nicht mit einem klaren Beweis unterlegt werden kann. Auf Einzelfälle bezogen taucht er jedoch relativ häufig auf – das ist der bekannte Aphorismus des halbvollen und halbleeren Glases.
Wir sehen ein, dass sogar in schlichten Formen der Lebensoptimismus nicht eine Meinung ist, die wir verachten sollten. Und weder die Kritiken des Glaubens und alles Christlichen, die die Beiden vertauschen und denen das Beide ineinander fließt sollten ihn verachten. Wenn wir aber zu Kenntnis bringen, wodurch sich der Glaube von dem Optimismus unterscheidet, wir werden auch die Quelle ihres Irrtums verstehen. Der Optimismus nämlich immer und in beliebiger von seiner Varianten etwas Sachlich ist, es ist das Einschätzen des Zustandes der Welt oder einer konkreten Sachlage, und der einschätzende Subjekt greift darin nicht besonders ein, er erwartet zwar, dass die Lage sich für ihn günstig entfalten wird (mindestens bei der ersten von uns betrachteten Variante), aber macht nichts dafür, er engagiert sich gar nicht. Und hier besteht ein grosser Unterschied zum Glauben. Wer in etwas glaubt, ist nicht nur überzeugt von der Wahrheit, Echtheit und Wert dessen, worin (oder in welchen) er glaubt, aber er ist auch dieser Überzeugung ganz ergeben, er „schwärmt“ für den Gegenstand seines Glaubens wird damit verknüpft durch mehr als nur Überzeugung – er fühlt Zuneigung dazu und oft auch setzt darauf seine Hoffnungen.
Es ist allerdings wahr, dass in dem Christentum der noch nicht zu entfernten Epochen pflegte man den Glauben mit einer trockenen Überzeugung über Dinge von nicht-rationellem Charakter gleichsetzen, die mit dem Leben und den Gefühlen des Einzelnen gar nicht zu tun hatte, und das Wort „Glaube“ begann man auch in diesem Sinne verwenden – für Bezeichnung einer bloßen Überzeugung. Glaube ist jedoch mehr als Überzeugung, und wann wir über den Glauben in diesem abgeleiteten Sinne sprechen möchten, lass uns lieber jenen anderen mehr adäquaten Ausdruck. Und hier sehen wir auch unmittelbar, warum für so viele Leute aus der außerchristlichen Welt der Glaube mit dem Optimismus zusammenschmilzt: Sie halten den Glauben für eine „Überzeugung von dem, dass…“. Und weshalb das Christentum (in erdrückender Mehrheit seiner Varianten) ist überzeugt, dass die Welt und das Menschenleben Sinn haben – wenn nicht für Anderes, denn dafür, dass ihn ihnen der Herr eingeprägt hat – es gibt der Christlichen Überzeugung eine gewisse „optimistische“ Verfärbung. Das ist aber der Glaube noch nicht. Schon seit langem hat die biblische Epistel an den Juden eine ziemlich komplizierte, jedoch sehr treffliche Definition des Glaubens dargeboten. Es steht da geschrieben:
:Estin de. pi,stijevlpizome,nwnu`po,stasij( pragma,twne;legcojouvblepome,nwnÅ
Diesen verflixten Vers hat man schon mehrmals und auf vielen Arten übersetzt, meistens des einigermaßen ungewohnten Partizip Passivs evlpizome,noj halber. (Luthers Übersetzung bspw. klingt: Es ist aber der Glaube eine gewisse Zuversicht des, das man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, das man nicht sieht.) Ich wähle die Folgende:
Der Glaube ist die Grundlage der Hoffnung und die Weisung an das Nichtbetrachtete.
Das muss man erst begründen: Griechisch u`po,stasij ist die lateinische substantia – eine wörtliche Übersetzung von Cicero. Bevor sie man in modernen Zeiten lieber nicht mehr ins Deutsche übersetzte, und bei Substanz blieb, pflegte es in der älteren deutschen philosophischen Tradition als Grund übersetzt werden. Das Untere, das u`po ist dabei wesentlich. Also ist die u`po,stasij etwas wodurch das Ding besteht und worauf sie sich stützt, sie drückt seine innere Basis und Eigenheit aus. So wurde sie auch seit jeher von der philosophischen Tradition an dem Haupt mit Aristoteles gedeutet. Um die Kohärenz des philosophischen Ausdrucks willen, es ist allerdings notwendig solche „Grundlage“ für etwas metaphysisch erklären – sie kann nie etwas Gleichrangiges, Beigeordnetes, ein anderes „Ding“ darstellen. (Vielleicht nur in Traum. Da sich ein Ding flüssig in ein anderes wandelt –ein Handschuh wird unmittelbar zu einer Puppe und die wieder zu der Mutter oder ihre Stimme usw.) Und gerade diesen Fall haben wir hier, denn Glaube und Hoffnung sind offensichtlich zwei verschieden Dinge: Es ist durchaus möglich eine gute Hoffnung zu haben und trotzdem auf nichts zu glauben – was bringt uns kreisweise zurück zu der Anfangsfrage nach dem Optimismus. Aber gerade so ist möglich bei allerlei Glauben schon beinahe die Hoffnung zu verlieren, obwohl sie eine natürliche Folge des Glaubens ist, woran im Übrigen auch unsere Definition deutet. Deshalb habe ich lieber u`po,stasij durch ihr (philosophisch plausibel) u`po,keimenon Synonym erstattet und es gehörig übersetzt. Die Hoffnung sich nämlich wirklich oft an irgendeinem Glauben stützt, obwohl es darf nicht gesagt werden, dass der Glaube bedingt die Hoffnung (siehe oben).
Zu dem zweiten Teil der Definition: e;legcoj ist der späteren philosophischen Tradition zuallermeist der Nachweis. Nachweis in der Antike sich jedoch stützt an Evidenz an einer Aufweisung, Zuweisung oder Aufzahlung –was gesamt auch Sinngehalte des Wortes: e;legcoj sind. Und gerade hier spüren wir die Kraft dieser Definition. Der Glaube pflegte manchmal als Gegenteil des Nachweises ergeben werden: zu glauben meint ohne Nachweis zu glauben, an etwas nicht Erwiesenes, oder sogar Unwahrscheinliches zu glauben. Unsere Definition behauptet, es sei nicht so: Der Glaube wirklich enthält einen Faktor der Vergewisserung, freilich durch die Weisung an das – unbedingt – Nichtbetrachtete. Das ist der Fall, auch wenn wir glauben jemandem, dass auf dem Markt sind Eier schier gratis zu bekommen. Jemand hat uns diese Idylle des billigen Einkaufens geschildert und wir glauben an dieses durch ihn vermitteltes Bild. Der Glaube kann sich jawohl auch auf Tatsachen beziehen, die prinzipiell unsichtbar sind, auf geistigen Tatsachen.
Aufgrund der phänomenologischen Untersuchung, bei der ist uns heftig die Definition des Glaubens aus dem Judenbrief zu Hilfe gekommen, sehen wir, dass sich der Glaube von dem Optimismus wesentlich unterscheidet. Erstens durch seine aktive Orientierung auf sein Objekt, dadurch, dass der Glaube“ die Hoffnung gebärt“, aber auch dadurch, dass der Glaube hat etwas hinter sich, worauf er sich stützen kann – jene Weisung anderswohin. Außerhalb der Koordinaten der bestehender Situation, dadurch, dass er noch einen anderen, in dem gegebenen Augenblick verhüllten Blickpunkt in Bezug nimmt, sei es nur ein Glaube in das Wort eines nahen Menschen, oder in andere, geistige Dimensionen und Modalitäten des Seins. Deshalb kann sie auch zu einer Brücke werden, die zum wahren Erkenntnis führt und den Handicap überkommen, die ihm diejenige vorwerfen, die gar nichts über seinen wahren Wert wissen.
Um den Vergleich zum Schluss führen, lass uns bemerken noch Eines: Was passiert in dem Fall, wenn die Angelegenheit nicht gut geriet, wann es trotz aller Optimismus oder Glauben zu einem misslichen oderbitteren Ausgang kommt? Für einem Optimisten meint es einen vollkommenen Krach. Er befindet sich in einer Lage ähnlichen dazu, wenn es unter jemandem ein Brückchen durchbricht, in dem er Vertrauen gehabt hatte und er hat nichts, womit er weiter erlangen könne. Sein Projekt ist einfach schief geraten. Wenn jedoch einem Menschen das nicht gelingt, woran er glaubt, ist die Situation nicht so eindeutig. Das, woran (oder worin) er glaubt, hört in seinem Gemüt nicht auf zu sein (Weisung an das Nichtbetrachtete!); nur seine Manifestation ist gemäß der aktuellen Lage in der Zeit aufgeschoben worden. Etwas solches darf der glaubende Mensch wohl als eine schmerzhafte, doch nicht definitive Niederlage empfinden. Gleichzeitig aber ihm seine Sehnsucht nach dem Erfüllen seines Glaubens erlaubt nicht völlig auf seinen Gegenstand zu verzichten – er wird auch im weiterem nach ihm streben, und vielleicht nächstes Mal… Er hat eine Schlacht verloren, aber nicht ganzen Krieg.